Krankheitsbedingte Kündigung Schwerbehinderter im öffentlichen Dienst

Krankheitsbedingte Kündigung Schwerbehinderter im öffentlichen Dienst trifft Mitarbeiter oft völlig unvorbereitet. Was passiert, wenn selbst Unkündbarkeit nicht mehr gilt? Welche Rolle spielen Integrationsamt, BEM, psychische Erkrankungen und Abfindung?

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Rechtlicher Rahmen im öffentlichen Dienst

Kündigungsschutz bei Schwerbehinderung

Voraussetzungen für Sonderkündigungsschutz

GdB als Grundvoraussetzung

Ohne die Anerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) ab 50 bleibt der besondere Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen im öffentlichen Dienst grundsätzlich außen vor (§ 2 Abs. 2 SGB IX). Diese Schwelle ist gesetzlich klar definiert – und gleichzeitig der erste Stolperstein: Viele Betroffene sind sich gar nicht bewusst, dass eine offizielle Feststellung notwendig ist, um diesen Schutz zu aktivieren. Es reicht eben nicht, sich gesundheitlich eingeschränkt zu fühlen – es braucht ein förmliches Verfahren mit konkretem Bescheid.

Dauerhafte gesundheitliche Einschränkungen

Doch was bedeutet eigentlich „dauerhaft“ krank im rechtlichen Sinne? Entscheidend ist nicht, wie sehr jemand leidet, sondern ob die Einschränkungen voraussichtlich länger als sechs Monate bestehen (§ 3 SGB IX). Dieser Zeitraum ist kein Zufall – er wurde bewusst gewählt, um kurzfristige Erkrankungen vom strukturellen Gesundheitsschaden zu trennen. Gerade im öffentlichen Dienst, wo Planbarkeit und langfristige Personaldisposition essenziell sind, ist diese Differenzierung besonders wichtig.

Antragstellung und Feststellungsverfahren

Das Verfahren zur Feststellung des GdB ist alles andere als ein formaler Selbstläufer. Es beginnt mit einem Antrag beim zuständigen Versorgungsamt – und endet oft erst nach Monaten. Dabei entscheidet nicht ein Arzt, sondern die Behörde auf Basis ärztlicher Gutachten. Viele Anträge scheitern nicht an fehlender Krankheit, sondern an fehlender Dokumentation. Wer hier nicht lückenlos nachweist, welche funktionellen Beeinträchtigungen vorliegen, wird am Ende keinen GdB erhalten.

Besonderheiten bei Gleichgestellten

Wichtig: Auch Menschen mit einem GdB zwischen 30 und 49 können schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden – wenn sie ohne diese Gleichstellung keinen geeigneten Arbeitsplatz finden (§ 2 Abs. 3 SGB IX). Diese Option wird häufig übersehen, obwohl sie gerade im öffentlichen Dienst mit seinen strengen Anforderungen oft der einzige Zugang zum Sonderkündigungsschutz ist. Doch aufgepasst: Die Gleichstellung muss bei der Agentur für Arbeit separat beantragt werden und ist nicht rückwirkend wirksam.

Beteiligung von Integrationsämtern

Wann stimmt das Integrationsamt zu

Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen im öffentlichen Dienst ist ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamts unzulässig (§ 168 SGB IX). Doch wann wird tatsächlich zugestimmt? Die Praxis zeigt: Nur in Fällen, in denen eine Weiterbeschäftigung dauerhaft unmöglich ist und alle Alternativen geprüft wurden. Es reicht nicht, dass jemand oft fehlt oder krank ist – es muss eine konkrete Störung des Arbeitsverhältnisses nachgewiesen werden.

Zustimmungserfordernis vor Kündigung

Das Verfahren vor dem Integrationsamt ist kein bloßer Verwaltungsakt, sondern ein echtes Schutzinstrument. Arbeitgeber müssen schriftlich und detailliert darlegen, warum eine Kündigung erforderlich ist. Ohne diese Zustimmung ist eine Kündigung – selbst bei offensichtlicher Arbeitsunfähigkeit – nicht rechtswirksam. Dieses Verfahren bietet Betroffenen einen wertvollen Zeitpuffer, um rechtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen oder Alternativen zu erarbeiten.

Anhörungsverfahren und Fristen

Nach Eingang des Antrags auf Zustimmung zur Kündigung hat das Integrationsamt den schwerbehinderten Menschen und ggf. seine Vertretung anzuhören (§ 170 SGB IX). Diese Anhörung ist kein „kann“, sondern ein „muss“. Arbeitgeber, die diesen Schritt überspringen oder Fristen nicht einhalten, riskieren die Unwirksamkeit der Kündigung. In der Praxis beträgt die Frist zur Entscheidung etwa einen Monat – wird sie überschritten, kann eine sogenannte „fiktive Zustimmung“ entstehen, was nicht selten zu gerichtlichen Auseinandersetzungen führt.

Mitwirkung der Schwerbehindertenvertretung

Informationspflicht des Arbeitgebers

Bevor eine Kündigung überhaupt eingeleitet wird, muss die Schwerbehindertenvertretung vollständig und rechtzeitig informiert werden (§ 178 Abs. 2 SGB IX). Diese Pflicht ist mehr als reine Formalität – sie soll sicherstellen, dass die Interessen der schwerbehinderten Person gewahrt bleiben. In der Praxis bedeutet das: Alle relevanten Unterlagen, Einschätzungen und Gesundheitsprognosen müssen vorgelegt werden.

Form und Inhalt der Beteiligung

Eine „Beteiligung“ ist nur dann wirksam, wenn sie konkret ist. Pauschale Formulierungen wie „wir beabsichtigen zu kündigen“ reichen nicht aus. Die Schwerbehindertenvertretung muss nachvollziehen können, warum eine Kündigung überhaupt in Betracht gezogen wird. Sie kann dann Stellung nehmen, Vorschläge machen oder sogar Widerspruch einlegen. Und ja – ihre Stimme hat Gewicht: In mehreren Urteilen (z. B. BAG, Urteil vom 13.12.2007 – 2 AZR 818/06) wurde festgestellt, dass eine unterlassene Beteiligung zur Unwirksamkeit der Kündigung führen kann.

Kündigung schwerbehinderte Gründe

Gesundheitliche Ursachen im Detail

Nicht jede Krankheit rechtfertigt eine Kündigung – auch nicht im öffentlichen Dienst. Es muss sich um gesundheitliche Einschränkungen handeln, die langfristig zur Unmöglichkeit der Aufgabenerfüllung führen. Typische Gründe sind chronische Schmerzzustände, fortschreitende degenerative Erkrankungen oder massive psychische Belastungen. Entscheidend ist stets die individuelle Auswirkung auf die konkrete Tätigkeit – nicht die Diagnose an sich.

Dienstunfähigkeit vs. Arbeitsunfähigkeit

Hier wird es knifflig: Dienstunfähigkeit bedeutet im Beamtenrecht, dass jemand seinen Dienstpflichten nicht mehr dauerhaft nachkommen kann (§ 26 BeamtStG), während Arbeitsunfähigkeit (nach § 3 EFZG) ein vorübergehender Zustand ist. Im Angestelltenverhältnis im öffentlichen Dienst kann Dienstunfähigkeit zwar keine direkte Kündigung rechtfertigen, aber sie kann auf eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit hinweisen – und genau das ist häufig der Ausgangspunkt für eine krankheitsbedingte Kündigung.

Leistungsdefizite und Sozialprognose

Entscheidend ist nicht nur die Vergangenheit, sondern die Zukunft: Kann der Beschäftigte seine Aufgaben künftig noch erfüllen? Diese sogenannte negative Prognose basiert auf ärztlichen Stellungnahmen, aber auch auf Erfahrungswerten aus dem Arbeitsalltag. Wenn sich über Monate hinweg zeigt, dass Rückkehrversuche scheitern und keine Besserung zu erwarten ist, spricht das für eine dauerhafte Leistungsminderung – und gegen eine Weiterbeschäftigung.

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Ablauf einer krankheitsbedingten Kündigung

Voraussetzungen für die Kündigung

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Negative Gesundheitsprognose

Prognosezeitraum und Diagnose

Was für eine Diagnose steht eigentlich am Anfang einer krankheitsbedingten Kündigung? Die wenigsten wissen, dass nicht die Krankheit selbst entscheidend ist, sondern die sogenannte negative Gesundheitsprognose – also die Annahme, dass sich der Gesundheitszustand in absehbarer Zeit nicht bessern wird. Diese Prognose muss sich auf einen Zeitraum von mindestens 24 Monaten beziehen, wie aus der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hervorgeht (BAG, Urteil vom 10. Dezember 2009 – 2 AZR 400/08).

Das heißt konkret: Wenn in den letzten zwei Jahren eine Häufung von Krankmeldungen bestand – etwa wegen chronischer Erkrankungen oder psychischer Belastungen – dann kann der Arbeitgeber auf eine weiterhin eingeschränkte Arbeitsfähigkeit schließen. Das ist natürlich heikel: Schließlich blickt man dabei nicht nur zurück, sondern trifft eine Aussage über die Zukunft. Und diese muss gut begründet sein – mit ärztlichen Diagnosen, medizinischen Verlaufsgutachten und häufig auch internen Beobachtungen.

Bedeutung ärztlicher Gutachten

Aber wer trifft eigentlich diese Zukunftsprognose? Die Antwort: Nicht der Arbeitgeber selbst – sondern medizinisch qualifizierte Fachkräfte. Und dabei genügt es nicht, ein Attest vom Hausarzt vorzulegen. Es braucht fundierte, objektive Gutachten, die den Krankheitsverlauf dokumentieren und eine nachvollziehbare Einschätzung abgeben. Besonders in Fällen, in denen keine eindeutige Diagnose vorliegt – etwa bei stressbedingten oder neurovegetativen Erkrankungen – spielt das eine immense Rolle.

Spannend ist, dass viele Gerichte genau hier ganz genau hinsehen. Wenn das Gutachten lückenhaft ist oder auf bloßen Mutmaßungen basiert, scheitert die Kündigung oft schon an diesem Punkt. Die objektive und transparente Bewertung des Gesundheitszustands ist damit ein zentraler Pfeiler – und zwar nicht nur formal, sondern auch menschlich.

Erhebliche Beeinträchtigung der Dienstleistung

Arbeitsunfähigkeitszeiten dokumentieren

Der Arbeitgeber darf sich bei einer Kündigung wegen Krankheit nicht auf sein Gefühl verlassen – er muss dokumentieren, wann, wie oft und wie lange eine Arbeitsunfähigkeit vorlag. Dabei reicht es nicht aus, nur die Krankschreibungen zu zählen. Viel entscheidender ist, ob sich daraus eine systematische Beeinträchtigung der betrieblichen Abläufe ergibt. Und genau hier kommt das sogenannte Entgeltfortzahlungsgesetz (§ 3 EFZG) ins Spiel: Wenn die Ausfallzeiten so häufig auftreten, dass die Lohnfortzahlung zur Belastung wird, wird es für den Arbeitgeber zunehmend kritisch.

Ein Beispiel aus der Praxis: Eine Verwaltungsangestellte mit über 120 Krankheitstagen im Jahr. Klingt viel – aber entscheidend ist, wie diese Tage verteilt sind. Sind es viele kleine Episoden oder eine längere Phase? Gab es Versuche zur Wiedereingliederung? Das alles muss der Arbeitgeber darlegen – sauber, chronologisch, prüfbar.

Einfluss auf Team und Betrieb

Krankheit ist keine Schuldfrage. Aber sie hat Folgen. Besonders im öffentlichen Dienst, wo Stellen oft nicht schnell neu besetzt werden können, führt längere Abwesenheit einzelner Mitarbeiter zu realen Problemen – für das Team, für die Leistungserbringung, für Bürgerinnen und Bürger. Diese betrieblichen Auswirkungen müssen im Kündigungsverfahren benannt werden. Etwa, wenn Aufgaben dauerhaft umverteilt wurden oder Vertretungen über ihre Belastungsgrenzen hinausgehen.

Der Arbeitgeber muss zeigen, dass diese Auswirkungen nicht mehr tragbar sind – und auch nicht mehr durch organisatorische Maßnahmen kompensiert werden können. Es geht also nicht nur darum, dass jemand krank ist, sondern darum, wie sich diese Krankheit auf das Ganze auswirkt.

Interessenabwägung durch den Arbeitgeber

Zumutbarkeit weiterer Beschäftigung

Hier wird’s besonders sensibel: Selbst wenn eine negative Prognose und betriebliche Beeinträchtigung vorliegen, darf der Arbeitgeber nicht einfach kündigen. Er muss prüfen, ob die Weiterbeschäftigung – ggf. unter geänderten Bedingungen – zumutbar wäre. Und das bedeutet Arbeit. Es muss geprüft werden, ob etwa eine Umsetzung auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz möglich ist. Ein Beispiel: Ein schwerbehinderter Hausmeister mit Rückenproblemen – könnte er vielleicht intern in den Empfangsbereich wechseln?

Die Gerichte verlangen hier eine konkrete Prüfung, keine bloßen Behauptungen. Wenn im Haus eine passende Stelle frei ist – und der Beschäftigte diese mit angemessener Einarbeitung erfüllen könnte –, dann fällt eine Kündigung fast immer durch.

Rücksichtnahme auf soziale Gesichtspunkte

Und dann kommt noch ein weiterer, oft unterschätzter Faktor ins Spiel: die sogenannte Sozialauswahl. Auch im öffentlichen Dienst ist bei krankheitsbedingten Kündigungen zu prüfen, wie stark der Beschäftigte sozial betroffen ist. Ist er über 50? Hat er Kinder, ist er alleinerziehend? Wie lange ist er schon im Dienst? Diese Faktoren machen einen Unterschied – nicht nur moralisch, sondern rechtlich.

Denn das Bundesarbeitsgericht stellt klar: Je härter die Kündigung eine Person in ihrer Lebenssituation trifft, desto höher müssen die Anforderungen an die Rechtfertigung sein (vgl. BAG, Urteil vom 12.04.2002 – 2 AZR 148/01). Mit anderen Worten: Wer jahrzehntelang loyal im Dienst war, darf nicht leichtfertig vor die Tür gesetzt werden – selbst bei gesundheitlichen Einschränkungen.

Präventive Maßnahmen vor Kündigung

Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)

Rechtliche Pflicht zur Durchführung

Im öffentlichen Dienst ist das BEM längst keine freiwillige Maßnahme mehr – es ist gesetzlich vorgeschrieben, sobald ein Beschäftigter innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig ist (§ 167 Abs. 2 SGB IX). Doch wie oft wird diese Pflicht in der Realität ignoriert oder halbherzig umgesetzt? Leider zu häufig. Dabei ist das BEM nicht nur eine Formalität, sondern ein zentrales Instrument zur Vermeidung von Kündigungen – besonders bei schwerbehinderten Mitarbeitenden.

Gerichte werten ein unterlassenes oder fehlerhaftes BEM regelmäßig als Verstoß gegen das Ultima-Ratio-Prinzip. Das bedeutet: Eine Kündigung ist unwirksam, wenn der Arbeitgeber vorher nicht ernsthaft versucht hat, andere Wege zu finden. Und genau dafür ist das BEM da – nicht um Dokumente zu produzieren, sondern um Lösungen zu schaffen.

Ziele und praktische Umsetzung

Aber was soll das BEM konkret erreichen? Ziel ist es, die Arbeitsfähigkeit der betroffenen Person wiederherzustellen oder zu erhalten – und zwar dauerhaft. Dabei können medizinische, organisatorische und technische Maßnahmen in Betracht kommen. Klingt nach viel Aufwand? Ist es auch. Aber dieser Aufwand kann am Ende die Arbeitskraft retten – und eine Kündigung überflüssig machen.

In der Praxis funktioniert ein gutes BEM nur, wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen: Arbeitgeber, betroffene Person, Schwerbehindertenvertretung und Betriebsarzt. Nur so entsteht Vertrauen – und genau das braucht es, damit aus einem Formularprozess ein echter Neuanfang wird.

Umsetzung von Arbeitsplatzanpassungen

Technische Hilfsmittel und Umbauten

Nicht jede Einschränkung bedeutet das Ende der Arbeitsfähigkeit. Häufig reichen schon gezielte technische Hilfsmittel oder einfache bauliche Anpassungen, um Mitarbeitenden die Rückkehr an ihren Arbeitsplatz zu ermöglichen. Ein höhenverstellbarer Schreibtisch, ein ergonomischer Stuhl oder eine Bildschirmvergrößerungssoftware – all das sind Maßnahmen, die laut Integrationsamt nicht nur zumutbar, sondern auch verpflichtend geprüft werden müssen (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, 2021).

Im öffentlichen Dienst bestehen sogar Fördermöglichkeiten für solche Anpassungen – z. B. durch das Integrationsamt oder die Rentenversicherung. Es wäre also fahrlässig, diesen Weg nicht zu gehen, bevor man über eine Kündigung spricht.

Umverteilung von Aufgaben

Was aber, wenn die Haupttätigkeit nicht mehr ausgeführt werden kann – etwa bei körperlich belastenden Aufgaben im Außendienst? In solchen Fällen ist die Umverteilung von Aufgaben eine ernstzunehmende Alternative zur Kündigung. Auch das ist Teil des BEM-Prozesses und wird von den Gerichten eingefordert (BAG, Urteil vom 20.11.2014 – 2 AZR 755/13).

Hier zeigt sich, wie kreativ und gleichzeitig verantwortungsbewusst Personalführung sein kann. Denn eine behutsame Umverteilung, gepaart mit Weiterqualifizierung, ist nicht nur rechtlich sicherer – sie ist auch menschlicher.

Öffentlicher Dienst Kündigung trotz Unkündbarkeit

Definition der Unkündbarkeit

Tarifliche Unkündbarkeit nach TVöD

Viele Beschäftigte im öffentlichen Dienst glauben, sie seien unkündbar – und oft stimmt das auch. Nach § 34 Abs. 2 TVöD erlangen Angestellte eine sogenannte tarifliche Unkündbarkeit, wenn sie eine gewisse Beschäftigungsdauer (oft 15 Jahre) erreicht haben und über 40 Jahre alt sind. Klingt beruhigend? Ist es auch – allerdings nur auf den ersten Blick.

Denn diese „Unkündbarkeit“ bezieht sich ausschließlich auf ordentliche Kündigungen aus verhaltens- oder betriebsbedingten Gründen. Bei personenbedingten Kündigungen – etwa wegen Krankheit – sieht die Lage anders aus. Und genau hier entstehen gefährliche Missverständnisse.

Ausnahmeregeln bei Krankheit

Der Mythos der absoluten Sicherheit bröckelt, sobald lang andauernde oder chronische Erkrankungen im Spiel sind. Auch tariflich unkündbare Beschäftigte können gekündigt werden – allerdings nur außerordentlich, das heißt, unter besonders strengen Voraussetzungen. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (z. B. BAG, Urteil vom 25.04.2013 – 2 AZR 579/12) zeigt: Wenn die krankheitsbedingten Fehlzeiten das Arbeitsverhältnis dauerhaft untragbar machen, kann selbst eine tarifliche Unkündbarkeit durchbrochen werden.

Das heißt: Unkündbarkeit schützt – aber nicht bedingungslos. Wer sich auf diesen Status verlässt, sollte genau wissen, was er wirklich bedeutet.

Voraussetzungen für die Kündigung trotz Unkündbarkeit

Schwere und Dauer der Erkrankung

Damit eine Kündigung trotz Unkündbarkeit gerechtfertigt ist, muss die Erkrankung besonders schwerwiegend und vor allem dauerhaft sein. Es reicht nicht, gelegentlich zu fehlen. Vielmehr muss eine Prognose vorliegen, dass auch in Zukunft keine Besserung zu erwarten ist – und das über Jahre hinweg. Diese Schwere ist kein Gefühl, sondern muss mit medizinischen Gutachten untermauert sein, etwa vom Amtsarzt oder einem externen Gutachter.

Zudem muss nachvollziehbar sein, dass sich der Zustand nicht mit Reha, Medikamenten oder angepasstem Einsatz verbessern lässt. Das klingt hart – aber nur wenn wirklich jede Option ausgeschöpft ist, kann man überhaupt über eine Kündigung sprechen.

Keine anderweitige Einsatzmöglichkeit

Der letzte Prüfstein ist die sogenannte leidensgerechte Weiterbeschäftigung. Gibt es innerhalb der Verwaltung eine andere Tätigkeit, die den gesundheitlichen Einschränkungen Rechnung trägt? Wenn ja – dann ist eine Kündigung ausgeschlossen. Wenn nein – dann kann sie zulässig sein.

Diese Prüfung darf nicht oberflächlich abgehakt werden. Es reicht nicht zu sagen: „Wir haben nichts Passendes.“ Die Rechtsprechung verlangt konkrete Stellensuche, Dokumentation und gegebenenfalls sogar Schulungskonzepte. Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, wird eine Kündigung spätestens vor Gericht scheitern.

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Besonderheiten und Streitpotenzial

Gerichtliche Überprüfung der Kündigung

Anforderungen an die Dokumentation

Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit

Wenn eine krankheitsbedingte Kündigung vor Gericht landet, entscheidet oft die Qualität der Dokumentation über den Ausgang. Arbeitgeber müssen lückenlos nachweisen, dass sie nicht vorschnell oder willkürlich gehandelt haben. Das bedeutet: Arbeitsunfähigkeitszeiten, Arztberichte, interne Gesprächsdokumentationen, BEM-Protokolle und Arbeitsplatzanalysen müssen systematisch gesammelt und datiert sein. Fehlt auch nur ein Element, könnte das ganze Verfahren kippen. Genau hier setzen Arbeitsgerichte an, denn Transparenz schafft Rechtsklarheit.

Relevanz im Prozessverlauf

Doch Dokumentation ist nicht gleich Dokumentation. Es kommt nicht nur darauf an, ob etwas dokumentiert wurde, sondern auch, ob es im konkreten Verfahren wirklich eine Rolle spielt. War die Wiedereingliederung nur auf dem Papier geplant? Wurden Gespräche mit der Schwerbehindertenvertretung tatsächlich geführt oder nur behauptet? Im gerichtlichen Kontext zählt nicht die Absicht, sondern die nachgewiesene Umsetzung. Das Gericht prüft, ob der Arbeitgeber vor der Kündigung alle zumutbaren Mittel ausgeschöpft hat. Und genau dafür braucht es mehr als eine Unterschrift auf einem Protokoll.

Beweislast und Argumentationsstrategien

Rolle der ärztlichen Stellungnahmen

In Kündigungsschutzprozessen wegen Krankheit sind ärztliche Stellungnahmen das Herzstück der Beweisführung. Doch nicht alle Gutachten sind gleichwertig. Ein Attest des Hausarztes hat weniger Gewicht als eine unabhängige fachärztliche Einschätzung. Besonders kritisch wird es, wenn Gutachten vage bleiben oder auf subjektiven Einschätzungen beruhen. Das Bundesarbeitsgericht verlangt eine konkrete Prognose zur Arbeitsfähigkeit in den kommenden Monaten (BAG, Urteil vom 10.12.2009 – 2 AZR 400/08). Ohne diese Prognose wird es für Arbeitgeber schwer, eine krankheitsbedingte Kündigung durchzubekommen.

Argumentation über Restleistungsvermögen

Ein zunehmend relevanter Aspekt ist das sogenannte Restleistungsvermögen. Dabei geht es darum, welche Teile der ursprünglichen Tätigkeit noch ausgeführt werden können. Arbeitgeber, die hier pauschal von “nicht mehr einsetzbar” sprechen, scheitern oft. Gerichte wollen sehen, dass konkret geprüft wurde, ob Teilaufgaben weiter möglich sind oder ob ein alternativer Arbeitsplatz in Frage kommt. Diese Argumentation verlangt Fingerspitzengefühl, denn sie liegt genau an der Schnittstelle zwischen rechtlicher Zulässigkeit und menschlicher Fairness.

Alternativen zur Kündigung

Umsetzung in andere Tätigkeitsbereiche

Möglichkeiten interner Versetzungen

Wenn eine Weiterbeschäftigung im ursprünglichen Bereich nicht mehr möglich ist, kommt eine interne Versetzung ins Spiel. Im öffentlichen Dienst sind viele Strukturen formalisiert, was diese Option nicht immer einfach macht – aber auch nicht unmöglich. Besonders bei großen Verwaltungen gibt es oft andere Dienststellen, in denen weniger körperlich belastende oder spezialisierte Aufgaben anfallen. Ein Wechsel dorthin setzt jedoch voraus, dass sowohl die Qualifikation als auch die gesundheitliche Eignung passen. Die Arbeitgeberseite muss diese Option ernsthaft prüfen und dokumentieren, sonst ist eine Kündigung rechtlich angreifbar.

Einarbeitung und Schulungskosten

Ein weiteres Kriterium ist der Aufwand für eine Einarbeitung. Natürlich darf vom Arbeitgeber keine Umschulung verlangt werden, die Monate dauert oder hohe Kosten verursacht. Aber: Eine gewisse Einarbeitungszeit ist zumutbar, gerade im Kontext des öffentlichen Dienstrechts und der Schutzvorschriften für schwerbehinderte Menschen. Die Rechtsprechung erkennt an, dass kurze Fortbildungen oder Schulungen keine unzumutbare Belastung darstellen, sondern ein Zeichen von Integrationswillen sind (BAG, Urteil vom 20.11.2014 – 2 AZR 755/13).

Aufhebungsvertrag im öffentlichen Dienst

Freiwilligkeit und Rechtsfolgen

Nicht jede Trennung muss in einem Kündigungsschutzprozess enden. Immer häufiger wird im öffentlichen Dienst ein Aufhebungsvertrag gewählt – allerdings nur unter strengen Voraussetzungen. Freiwilligkeit ist dabei oberstes Gebot. Ein Aufhebungsvertrag, der unter Druck oder mit einseitiger Einflussnahme zustande kam, kann angefochten werden. Die Folge: Er gilt als unwirksam. Deshalb ist es entscheidend, dass die betroffene Person Zeit zur Prüfung bekommt, idealerweise unter Einbindung eines Rechtsbeistands.

Vorteile gegenüber einer Kündigung

Ein gut gestalteter Aufhebungsvertrag kann für beide Seiten Vorteile bringen: Der Arbeitgeber erhält Planungssicherheit, die betroffene Person bekommt im Gegenzug eine Abfindung und kann das Verfahren ohne Stigmatisierung beenden. Gerade bei schwerbehinderten Menschen, die auf Reha oder Umschulung setzen, ist diese Lösung oft praktikabler als ein zäher Kündigungsschutzprozess. Auch aus psychologischer Sicht ist ein solcher Abschluss oft entlastender als eine juristische Auseinandersetzung.

Kündigung wegen psychischer Erkrankung

Psychische Erkrankung im Fokus

Burnout und Depression als Auslöser

Psychische Erkrankungen nehmen im öffentlichen Dienst seit Jahren zu. Besonders Burnout und Depressionen führen zu langen Ausfallzeiten und sind schwer behandelbar. Anders als bei körperlichen Leiden sind hier Verlauf und Prognose deutlich schwerer einzuschätzen. Für eine krankheitsbedingte Kündigung braucht es aber auch in diesen Fällen eine medizinisch fundierte Einschätzung darüber, ob eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit zu erwarten ist. Arbeitgeber müssen besonders sorgfältig vorgehen, denn hier ist die Grenze zwischen berechtigtem Handeln und Diskriminierung extrem sensibel.

Diagnosestellung und Beurteilung

Die Diagnose einer psychischen Erkrankung erfolgt in der Regel durch Fachärzte für Psychiatrie oder Psychotherapie. Dabei ist es wichtig, zwischen akuten Krisen und chronifizierten Störungen zu unterscheiden. Die Prognose muss sich darauf beziehen, ob und inwieweit eine psychische Stabilisierung zu erwarten ist. Pauschale Einschätzungen reichen vor Gericht nicht aus. Hier zeigt sich erneut: Die Beurteilung muss individuell, dokumentiert und gutachterlich gestützt sein.

Besonderheiten bei psychischer Belastung

Stigmatisierung und rechtliche Risiken

Kündigungen wegen psychischer Erkrankungen sind rechtlich besonders riskant, weil sie schnell in den Verdacht der Diskriminierung geraten. Nach dem AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, § 1 AGG) dürfen Menschen nicht aufgrund einer Behinderung benachteiligt werden – dazu zählen auch psychische Erkrankungen. Das bedeutet: Arbeitgeber müssen nachweisen, dass ihre Entscheidung auf objektiven, medizinischen und betrieblichen Gründen basiert – nicht auf Vorurteilen oder Unsicherheit.

Umgang mit betrieblichen Fehlzeiten

Im Umgang mit psychisch erkrankten Mitarbeitenden sind insbesondere betriebliche Fehlzeiten ein sensibles Thema. Wichtig ist, ob es einen erkennbaren Zusammenhang zwischen Erkrankung und Ausfallzeiten gibt und ob diese mit zumutbaren Mitteln überbrückt werden können. Reha-Maßnahmen, Gespräche, Wiedereingliederung – all das muss dokumentiert und reflektiert werden, bevor eine Kündigung in Erwägung gezogen wird. Wer hier vorschnell handelt, riskiert nicht nur eine gerichtliche Niederlage, sondern auch Imageschaden.

Abfindung bei Kündigung im öffentlichen Dienst

Kündigung Schwerbehinderter mit Abfindung

Rechtlicher Anspruch und Verhandlungsspielraum

Ein gesetzlicher Anspruch auf Abfindung besteht im Regelfall nicht. Dennoch kommt es im Rahmen von gerichtlichen Vergleichen oder Aufhebungsverträgen oft zu Abfindungszahlungen. Besonders bei schwerbehinderten Menschen ist der Spielraum für Verhandlungen größer, weil das Risiko für den Arbeitgeber höher ist. Wer sich auf eine Abfindung einlässt, sollte unbedingt auf die steuerliche Behandlung achten: Nach §19 BGB und §34 EStG können steuerliche Vergünstigungen in Frage kommen, wenn die Abfindung in einem bestimmten Rahmen vereinbart wird.

Sozialplan und gerichtlicher Vergleich

In größeren Verwaltungseinheiten kann ein Sozialplan existieren, der die Abfindungshöhe regelt. Ansonsten bleibt der Weg über das Arbeitsgericht. In vielen Fällen schlagen Richter selbst einen Vergleich vor, um langwierige Verfahren zu vermeiden. Dabei orientiert man sich oft an der Faustformel: ein halbes Bruttomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr. Doch Achtung: Diese Formel ist keine Garantie, sondern nur ein Richtwert.

Schwerbehinderung Kündigung mit 58 Abfindung

Altersfaktor und sozialer Härtefall

Wer im Alter von 58 Jahren und mit Schwerbehinderung gekündigt wird, befindet sich in einer besonders geschützten Position. Denn das Sozialgesetzbuch IX sowie das Kündigungsschutzgesetz sehen in solchen Fällen eine intensivere Interessenabwägung vor. Es geht darum, ob ein sozialer Härtefall vorliegt. Ist das der Fall, steigt der Druck auf den Arbeitgeber, entweder auf die Kündigung zu verzichten oder eine deutlich höhere Abfindung zu zahlen.

Abfindungsberechnung nach Lebensalter

Das Lebensalter spielt auch bei der Berechnung eine Rolle. Je näher der Rentenbeginn rückt, desto größer der finanzielle Schaden durch eine Kündigung. Dies wird bei der Bemessung der Abfindung häufig berücksichtigt. In einigen Fällen wurde sogar die Differenz zwischen früherem Austritt und regulärer Altersrente als Grundlage für die Abfindung genommen – etwa nach §17 SGB IX.

Kündigung öffentlicher Dienst Krankheit Erfahrungen

Erfahrungsberichte aus der Praxis

Reaktionen von Kollegen und Vorgesetzten

Wenn jemand im Team krankheitsbedingt gekündigt wird, bleiben die Reaktionen nicht aus. Kollegen reagieren oft mit Unsicherheit oder Mitgefühl, während Vorgesetzte zwischen Loyalität und Effizienzdruck schwanken. In Interviews mit Betroffenen zeigte sich, dass der Umgang mit der Thematik stark vom Betriebsklima abhängt. Wo Kommunikation offen und ehrlich war, verlief der Prozess respektvoller. Wo Druck und Schweigen herrschten, blieb ein bitterer Nachgeschmack.

Emotionale Belastung der Betroffenen

Die psychische Belastung für Betroffene ist immens. Viele berichten von Schlafstörungen, sozialem Rückzug oder Schuldgefühlen. Der Verlust des Arbeitsplatzes trifft nicht nur finanziell, sondern auch identitätsstiftend. Gerade im öffentlichen Dienst, wo die Berufsethik und das “Wir-Gefühl” stark sind, wirkt eine Kündigung wie ein Bruch. Deshalb ist eine begleitende Beratung oft ebenso wichtig wie die juristische Klärung.

Typische Fehler in der Umsetzung

Fehlende Dokumentation und Kommunikation

Ein wiederkehrendes Muster in gescheiterten Verfahren ist die mangelhafte Dokumentation. Ohne sauber geführte Protokolle, interne Aktennotizen oder Nachweise über Gespräche wird es vor Gericht schwierig. Ebenso kritisch ist die Kommunikation. Wer nicht klar kommuniziert, schafft Raum für Missverständnisse und Konflikte. Besonders bei sensiblen Themen wie Krankheit und Behinderung ist Empathie gefragt.

Unzureichende Vorbereitung durch das BEM

Auch beim BEM liegt vieles im Argen. Oft wird es pro forma durchgeführt, ohne ernsthaften Willen zur Reintegration. Fehlende Zielvereinbarungen, kein strukturierter Ablauf, keine Dokumentation der Maßnahmen – das alles schwächt die Position des Arbeitgebers. Die Folge: Das Gericht erkennt kein ernsthaftes Bemühen, sondern nur Pflichtübung. Und das reicht nicht aus, um eine Kündigung zu rechtfertigen.

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Fazit

Krankheitsbedingte Kündigungen schwerbehinderter Menschen im öffentlichen Dienst sind ein hochsensibles Thema – rechtlich, menschlich und institutionell. Sie berühren nicht nur die arbeitsrechtliche Schutzarchitektur des SGB IX, sondern auch die Grundfesten des fairen Umgangs mit Mitarbeitenden in schwierigen Lebenslagen. Was die vielen Regelungen, Zustimmungen und Verfahren deutlich machen: Eine Kündigung darf nie der erste, sondern immer der letzte Schritt sein – und auch dann nur bei eindeutiger rechtlicher Grundlage, vollständiger Dokumentation und fairer Interessenabwägung. Wer als Arbeitgeber voreilig handelt oder formale Pflichten nur abarbeitet, riskiert vor Gericht nicht nur eine Niederlage, sondern auch bleibenden Vertrauensverlust. Umgekehrt können Betroffene ihre Rechte nur dann effektiv wahrnehmen, wenn sie informiert, begleitet und ernstgenommen werden. Der öffentliche Dienst hat hier eine besondere Verantwortung – nicht nur als Arbeitgeber, sondern auch als Vorbild für soziale Gerechtigkeit.

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FAQ

Wann gilt eine Kündigung trotz Schwerbehinderung als rechtmäßig?

Eine Kündigung ist nur dann zulässig, wenn alle rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind: Eine negative Gesundheitsprognose, eine erhebliche Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses und die fehlende Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung. Zusätzlich ist die Zustimmung des Integrationsamts und die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung zwingend erforderlich.

Was bedeutet „Unkündbarkeit“ im öffentlichen Dienst wirklich?

Die tarifliche Unkündbarkeit nach § 34 TVöD schützt nur vor ordentlichen, nicht aber vor außerordentlichen Kündigungen aus personenbedingten Gründen – etwa bei dauerhafter Krankheit. Sie ist also kein absoluter Schutz und kann bei schweren gesundheitlichen Einschränkungen durchbrochen werden.

Welche Rolle spielt das BEM im Kündigungsprozess?

Das BEM (Betriebliches Eingliederungsmanagement) ist gesetzlich vorgeschrieben und muss vor jeder krankheitsbedingten Kündigung ernsthaft durchgeführt werden. Es dient dazu, Maßnahmen zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu prüfen. Ein unterlassenes oder mangelhaftes BEM kann die Kündigung rechtlich unwirksam machen.

Ist eine Kündigung bei psychischer Erkrankung erlaubt?

Grundsätzlich ja, aber nur unter besonders strengen Bedingungen. Arbeitgeber müssen beweisen, dass die Erkrankung langfristig die Arbeitsfähigkeit einschränkt und keine anderen Einsatzmöglichkeiten bestehen. Gleichzeitig dürfen sie nicht gegen das AGG verstoßen, das Diskriminierung aufgrund von Behinderung verbietet.

Was ist der Unterschied zwischen Arbeitsunfähigkeit und Dienstunfähigkeit?

Arbeitsunfähigkeit bezeichnet einen vorübergehenden Zustand, in dem die berufliche Tätigkeit nicht ausgeübt werden kann (§ 3 EFZG). Dienstunfähigkeit ist ein beamtenrechtlicher Begriff (§ 26 BeamtStG) und bedeutet, dass eine dauerhafte Unfähigkeit zur Dienstausübung vorliegt – mit weitreichenderen Konsequenzen.

Wie hoch ist eine typische Abfindung im öffentlichen Dienst?

Es gibt keinen gesetzlichen Anspruch auf Abfindung, außer sie wird im Vergleich oder Aufhebungsvertrag vereinbart. Als Richtwert gilt oft ein halbes Bruttomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr, aber das ist verhandelbar und hängt vom Einzelfall ab – insbesondere bei schwerbehinderten oder älteren Beschäftigten.

Muss das Integrationsamt immer zustimmen?

Ja. Eine Kündigung eines schwerbehinderten Menschen im öffentlichen Dienst ist ohne die vorherige Zustimmung des Integrationsamts nach § 168 SGB IX unzulässig. Das Amt prüft, ob alle anderen Maßnahmen ausgeschöpft wurden und die Kündigung tatsächlich alternativlos ist.

Können auch gleichgestellte Personen den Sonderkündigungsschutz beanspruchen?

Ja. Personen mit einem GdB zwischen 30 und 49 können gleichgestellt werden, wenn sie sonst keinen geeigneten Arbeitsplatz finden. Die Gleichstellung muss bei der Agentur für Arbeit beantragt werden und ist Voraussetzung für den Kündigungsschutz nach dem SGB IX.

Was sind typische Fehler, die Arbeitgeber bei der Kündigung machen?

Zu den häufigsten Fehlern zählen unvollständige Dokumentation, unzureichende Durchführung des BEM, fehlende Kommunikation mit der Schwerbehindertenvertretung oder oberflächliche Prüfung von Alternativen. All diese Punkte führen vor Gericht regelmäßig zur Unwirksamkeit der Kündigung.

Was kann ich tun, wenn ich selbst betroffen bin?

Suchen Sie frühzeitig rechtliche Beratung – idealerweise über einen Fachanwalt für Arbeitsrecht oder den Personalrat. Beantragen Sie Akteneinsicht, dokumentieren Sie Ihre Sicht der Dinge und prüfen Sie Alternativen zur Kündigung, etwa über ein BEM, eine interne Versetzung oder einen freiwilligen Aufhebungsvertrag. Bleiben Sie aktiv – denn Ihr Recht auf Beschäftigung endet nicht mit der ersten Diagnose.

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