Arbeitsrecht Kündigungsschutzgesetz schützt nicht jeden. Wer fällt wann unter §1, §4 oder §23 KSchG? Lies jetzt, wie du Wartezeit, Betriebsgröße und Klagefrist wirklich verstehst.

Grundlagen des Kündigungsschutzgesetzes
Ziel und Bedeutung im Arbeitsrecht
Schutz der Arbeitnehmerposition
Historische Entwicklung KSchG
Die Entstehung des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) lässt sich nicht ohne den gesellschaftlichen Kontext der Nachkriegszeit verstehen. In einer Zeit wirtschaftlicher Unsicherheit und starker Machtasymmetrie zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern war der Bedarf nach rechtlicher Absicherung enorm. Das KSchG wurde 1951 als Reaktion auf willkürliche Entlassungen eingeführt und seither mehrfach überarbeitet. Die sozialen Kämpfe der 1970er-Jahre etwa führten zu einer Erweiterung des Anwendungsbereichs. Die historische Entwicklung zeigt: Der Kündigungsschutz ist kein statisches Gebilde, sondern ein Spiegel sozialer Aushandlung (Bundesarbeitsblatt, 2020).
Verfassungsrechtlicher Rahmen
Der Kündigungsschutz ist tief im Grundgesetz verankert – und zwar in Art. 1 GG (Menschenwürde) und Art. 20 GG (Sozialstaatlichkeit). Arbeitgeber dürfen nicht nach Belieben kündigen, weil die wirtschaftliche Existenz des Arbeitnehmers am Arbeitsverhältnis hängt. Laut Bundesverfassungsgericht sind Kündigungen staatlich zu kontrollieren, um soziale Schutzmechanismen aufrechtzuerhalten (BVerfG, Beschluss vom 27.01.1998, 1 BvL 15/87). Der Gesetzgeber hat hier also nicht nur die Möglichkeit, sondern die Pflicht zur Regulierung.
Soziale Schutzfunktion
Was oft vergessen wird: Der Kündigungsschutz dient nicht nur dem einzelnen Arbeitnehmer, sondern auch der Gesellschaft. Wer ständig um seinen Arbeitsplatz fürchtet, wird kaum langfristig planen, konsumieren oder investieren. Das KSchG stabilisiert daher nicht nur Erwerbsbiografien, sondern auch die Volkswirtschaft. So zeigt eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB, 2019), dass funktionierender Kündigungsschutz die Fluktuation senkt und die Produktivität steigert – entgegen mancher wirtschaftsliberaler Mythen.
Europarechtlicher Einfluss
Auch europäische Vorgaben haben das deutsche Kündigungsrecht geprägt. Besonders relevant ist die EU-Richtlinie 2001/23/EG zum Schutz der Arbeitnehmer bei Betriebsübergängen. Sie sorgt dafür, dass bei einem Arbeitgeberwechsel keine neuen Kündigungsgründe entstehen dürfen. Der EuGH stellte mehrfach klar: Kündigungsschutz ist Teil der europäischen Sozialcharta – und darf nicht ausgehöhlt werden (EuGH, Urteil vom 11.03.2004, C-187/03).
Persönlicher Geltungsbereich §1 Abs 1 KSchG
Definition Arbeitnehmerbegriff
Wer gilt überhaupt als Arbeitnehmer im Sinne des KSchG? Nicht jede abhängige Beschäftigung fällt darunter. Entscheidende Kriterien sind persönliche Weisungsgebundenheit, Eingliederung in den Betriebsablauf und wirtschaftliche Abhängigkeit. Auch Teilzeitkräfte und Minijobber können geschützt sein – solange sie nicht nur geringfügig tätig sind (BAG, Urteil vom 14.06.2016, 9 AZR 305/15). Das ist wichtig für alle, die sich nicht sicher sind, ob sie den „richtigen“ Arbeitsstatus haben.
Wartezeit nach §1 Abs 1 KSchG
Ein Punkt, der viele überrascht: Kündigungsschutz gilt nicht ab Tag 1. Laut §1 Abs. 1 KSchG muss das Arbeitsverhältnis mindestens sechs Monate bestanden haben, bevor der Schutz greift. Diese sogenannte Wartezeit dient laut Gesetzgeber der „gegenseitigen Erprobung“ – allerdings wird sie in der Praxis häufig übersehen, etwa wenn eine Kündigung am letzten Tag der Probezeit ausgesprochen wird (BT-Drs. 13/4354, 1996).
Vorbeschäftigung und Unterbrechung
Doch was ist mit vorherigen Arbeitsverhältnissen beim selben Arbeitgeber? Zählen die mit? Laut BAG (Urteil vom 20.02.2020, 2 AZR 14/19) kann eine frühere Tätigkeit angerechnet werden, sofern sie nicht zu lange zurückliegt und der inhaltliche Zusammenhang gewahrt ist. Eine mehrjährige Unterbrechung – z. B. wegen Elternzeit oder Projektpause – unterbricht allerdings den Fristlauf.
Ausnahmefälle bei Kettenverträgen
Besonders knifflig wird es bei befristeten Kettenverträgen. Immer wieder versuchen Arbeitgeber, durch sachgrundlose Befristungen den Kündigungsschutz zu umgehen. Der Europäische Gerichtshof hat solchen Praktiken jedoch klare Grenzen gesetzt – insbesondere wenn mehrere Verträge direkt aufeinander folgen (EuGH, Urteil vom 26.01.2012, C-586/10). Auch in Deutschland betonte das BAG, dass ein „Rechtsmissbrauch bei wiederholter Befristung“ vorliegt, wenn objektiv kein sachlicher Grund besteht (BAG, Urteil vom 18.10.2017, 7 AZR 622/15).
Betrieblicher Geltungsbereich §23 Abs 1 KSchG
Schwellenwerte und Mitarbeiteranzahl
Ein weiterer Stolperstein im KSchG ist §23 Abs. 1 – die sogenannte Kleinbetriebsklausel. Danach gilt das Gesetz nur für Betriebe mit mehr als zehn Mitarbeitern (Vollzeitäquivalente). Lehrlinge zählen nicht mit. Diese Regelung führt in der Praxis dazu, dass viele Beschäftigte im Mittelstand ohne Schutz dastehen – eine soziale Schieflage, die juristisch immer wieder kritisiert wird (BAG, Urteil vom 13.03.2008, 2 AZR 1037/06).
Kleinbetriebe und §23 KSchG
Doch was genau ist ein Kleinbetrieb? Entscheidend ist nicht nur die absolute Zahl, sondern auch die Art der Beschäftigung: Teilzeitkräfte werden anteilig gerechnet, Minijobber oft gar nicht. Diese komplexe Berechnung führt in der Realität oft zu Rechtsunsicherheit – auch für Arbeitgeber. Gerade kleine Familienbetriebe begehen hier häufig Fehler bei der Kündigung, die teuer werden können.
Konzernstruktur und Teilbetriebe
Und wie sieht es in Konzernen mit mehreren Standorten aus? Hier gilt: Der einzelne Betrieb, nicht das Gesamtunternehmen, ist entscheidend. Ein Teilbetrieb mit weniger als elf Mitarbeitenden kann also trotz riesiger Konzernstruktur vom Geltungsbereich des KSchG ausgeschlossen sein – es sei denn, es liegt ein sogenannter “Betriebszusammenhang” vor, der rechtlich nachweisbar ist (BAG, Urteil vom 28.10.2010, 2 AZR 392/08).
Fristen und formale Anforderungen
Schriftform nach §623 BGB
Wirksamkeit ohne Schriftform
Viele glauben immer noch, eine mündliche Kündigung sei rechtlich gültig – ein gefährlicher Irrtum. Laut §623 BGB ist eine Kündigung nur wirksam, wenn sie schriftlich erfolgt. Eine E-Mail, ein WhatsApp-Text oder gar ein Anruf reicht nicht aus. Das BAG hat dies mehrfach bestätigt (BAG, Urteil vom 07.07.2011, 6 AZR 705/09). Selbst wenn beide Parteien die Kündigung akzeptieren, fehlt ohne Schriftform die rechtliche Wirksamkeit.
Digitale Kündigungen rechtlich zulässig?
In Zeiten digitaler Kommunikation stellt sich natürlich die Frage: Warum reicht eine signierte E-Mail nicht? Der Gesetzgeber bleibt hier konservativ. Auch eine qualifizierte elektronische Signatur wird nach aktueller Rechtslage nicht als gleichwertig zur handschriftlichen Unterschrift akzeptiert – zumindest nicht bei der Kündigung (§126a BGB). Das schafft in modernen Arbeitsverhältnissen immer wieder Konflikte, besonders bei Remote-Arbeitsmodellen.
Kündigungsfristen gemäß §622 BGB
Staffelung nach Betriebszugehörigkeit
§622 BGB regelt die gesetzlichen Kündigungsfristen – und zwar für Arbeitgeber. Je länger ein Mitarbeiter im Unternehmen war, desto länger ist die Kündigungsfrist. Diese Staffelung beginnt ab zwei Jahren Betriebszugehörigkeit mit einem Monat und kann auf bis zu sieben Monate ansteigen. Für Arbeitnehmer gilt grundsätzlich eine Frist von vier Wochen zum 15. oder Monatsende, es sei denn, es ist anders vereinbart.
Sonderregelung in der Probezeit
Während der Probezeit gelten besondere Regeln: Hier kann beiderseitig mit einer Frist von nur zwei Wochen gekündigt werden – ohne Begründung. Diese Regelung soll die Flexibilität erhöhen, führt aber oft zu Unsicherheit bei neuen Beschäftigten. Wichtig ist: Die Probezeit darf laut §622 Abs. 3 BGB nicht länger als sechs Monate dauern – danach greifen die regulären Fristen.
Abweichungen durch Tarifvertrag
Und was ist mit Tarifverträgen? Diese können die gesetzlichen Fristen verkürzen oder verlängern – je nach Branche, Position oder Regelung. In der Metall- und Elektroindustrie gelten beispielsweise oft deutlich kürzere Kündigungsfristen. Doch Achtung: Nicht immer ist klar, ob der Tarifvertrag wirklich Anwendung findet. Hier hilft nur ein Blick in den Arbeitsvertrag und die tarifliche Bezugnahmeklausel.
Klagefrist nach §4 Satz 1 KSchG
Dreiwochenfrist zur Klageerhebung
Eine der wichtigsten Fristen im Kündigungsrecht ist die Klagefrist nach §4 Satz 1 KSchG. Wer gegen eine Kündigung vorgehen will, hat nur drei Wochen Zeit – gerechnet ab Zugang des Kündigungsschreibens. Diese Frist ist zwingend und wird vom Gericht strikt beachtet (BAG, Urteil vom 23.06.2009, 2 AZR 103/08). Wer sie versäumt, verliert sein Klagerecht – selbst wenn die Kündigung objektiv unwirksam wäre.
Verspätung und Rechtsverlust
Das klingt hart, ist aber rechtlich gewollt: Die Rechtssicherheit für Arbeitgeber soll gewahrt bleiben. Auch wenn persönliche Schicksale betroffen sind, zählt allein das Fristende. Eine verspätete Klage führt regelmäßig zur Klageabweisung – es sei denn, es gibt einen wichtigen Grund für die Verspätung (§5 KSchG).
Wiederherstellung bei Fristversäumnis
Doch keine Panik: Wer die Frist aus wichtigem Grund – etwa wegen Krankheit oder Urlaubsabwesenheit – verpasst, kann einen Antrag auf nachträgliche Zulassung stellen. Dieser muss allerdings binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt werden. Die Hürde ist hoch, aber nicht unüberwindbar, wie zahlreiche erfolgreiche Anträge in der Praxis zeigen.
ak Arbeitsrecht: Was du im Streit brauchst 👆Ordentliche Kündigung und ihre Grenzen
Soziale Rechtfertigung nach §1 Abs 2 KSchG

Personenbedingte Kündigung
Krankheit als Kündigungsgrund
Eine Kündigung wegen Krankheit ist rechtlich möglich – aber sie gehört zu den heikelsten Formen überhaupt. Man kann doch nicht einfach jemanden feuern, nur weil er krank ist, oder? Genau hier greift das sogenannte Drei-Stufen-Modell des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 12.04.2002, 2 AZR 148/01). Zuerst muss eine negative Gesundheitsprognose vorliegen, also die Aussicht, dass der Arbeitnehmer weiterhin häufig oder langfristig erkrankt. Danach muss eine erhebliche Beeinträchtigung des Betriebs gegeben sein – etwa durch wiederholte Ausfälle oder hohe Vertretungskosten. Und zuletzt erfolgt die Interessenabwägung: Ist die Kündigung für den Arbeitgeber wirklich das letzte Mittel?
Leistungsmängel und Prognoseprinzip
Wenn jemand seine Arbeitsleistung nicht mehr erbringt, liegt das nicht automatisch an Faulheit. Oft stecken gesundheitliche oder psychische Gründe dahinter – oder auch Überforderung, schlechte Einarbeitung, veraltete Technik. Für eine personenbedingte Kündigung reicht es nicht aus, dass die Zahlen nicht stimmen. Es braucht eine konkrete, objektive Prognose, dass sich die Leistung auch künftig nicht bessert (BAG, Urteil vom 11.12.2014, 2 AZR 755/13). Subjektive Einschätzungen, etwa „der Kollege ist nicht mehr motiviert“, reichen nicht aus.
Dauerhafte Leistungsunfähigkeit
Wenn feststeht, dass jemand dauerhaft nicht mehr in der Lage ist, seine vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen – etwa nach einem Unfall oder durch eine chronische Krankheit –, kann eine Kündigung zulässig sein. Aber auch hier gilt: Zuerst muss geprüft werden, ob eine andere zumutbare Tätigkeit im Unternehmen angeboten werden kann (§1 Abs. 2 KSchG). Erst wenn das ausgeschlossen ist, kann über eine Kündigung gesprochen werden. Und selbst dann ist immer eine umfassende Interessenabwägung notwendig.
Verhaltensbedingte Kündigung
Abmahnung und Wiederholungsgefahr
Hier wird es persönlich – und emotional. Wer gegen Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verstößt, etwa durch unentschuldigtes Fehlen, Arbeitsverweigerung oder beleidigendes Verhalten, riskiert die verhaltensbedingte Kündigung. Aber: Ohne vorherige Abmahnung geht fast nichts. Die Abmahnung dient als gelbe Karte – eine Chance, das Verhalten zu ändern. Erst wenn eine Wiederholungsgefahr besteht, also die Wahrscheinlichkeit, dass das Fehlverhalten erneut auftritt, ist eine Kündigung rechtlich tragfähig (BAG, Urteil vom 19.07.2012, 2 AZR 782/11).
Einzelfallwürdigung
Die spannende Frage lautet: Wie schwer wiegt der Verstoß? Ist ein einmaliger Vorfall bereits kündigungsrelevant oder war es nur ein Ausrutscher? Die Antwort hängt immer vom Einzelfall ab. Das BAG stellt dabei hohe Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit. Eine Kündigung wegen Zuspätkommens kann gerechtfertigt sein – wenn sie sich häuft, trotz Abmahnung. Aber bei einem einzigen, nachvollziehbaren Fehlverhalten sieht es anders aus. Der Mensch hinter dem Vertrag zählt.
Differenzierung zu außerordentlicher Kündigung
Verhaltensbedingte Kündigung ist nicht gleich fristlose Kündigung. Die außerordentliche Kündigung gemäß §626 BGB ist nur zulässig, wenn ein besonders schwerer Vertrauensbruch vorliegt – z. B. Diebstahl, schwere Beleidigung oder sexuelle Belästigung. Hier entfällt auch die Kündigungsfrist. Für verhaltensbedingte Kündigungen im ordentlichen Sinne gelten dagegen immer die üblichen Fristen. Wichtig ist also: Den Unterschied zu kennen und nicht vorschnell zu reagieren.
Betriebsbedingte Kündigung
Unternehmerentscheidung als Grundlage
Die betriebsbedingte Kündigung basiert nicht auf dem Verhalten oder der Person, sondern auf unternehmerischen Gründen. Zum Beispiel: Der Betrieb wird verkleinert, eine Abteilung geschlossen oder digitalisiert. Doch auch hier heißt es: Nicht jede Entscheidung rechtfertigt automatisch eine Kündigung. Sie muss nachvollziehbar und auf Dauer angelegt sein – bloße Kostensenkung oder kurzfristige Einsparungen reichen nicht aus (BAG, Urteil vom 17.06.1999, 2 AZR 141/99).
Sozialauswahl nach §1 Abs 3 KSchG
Wenn mehrere vergleichbare Mitarbeiter im Betrieb tätig sind, darf der Arbeitgeber nicht willkürlich kündigen. Nach §1 Abs. 3 KSchG muss er eine Sozialauswahl treffen – nach Lebensalter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung. Das ist oft ein emotionaler Prozess, gerade wenn Kollegen sich miteinander vergleichen und fragen: „Warum ich und nicht der andere?“ Die Auswahl muss dokumentiert, nachvollziehbar und rechtlich haltbar sein.
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
Bevor überhaupt gekündigt wird, muss geprüft werden, ob eine Weiterbeschäftigung im Unternehmen möglich ist – auch auf einem anderen Arbeitsplatz. Diese sogenannte Weiterbeschäftigungspflicht ergibt sich aus dem ultima-ratio-Prinzip: Kündigung ist immer das letzte Mittel. Ein Arbeitgeber, der das ignoriert, riskiert vor Gericht zu scheitern (BAG, Urteil vom 23.02.2010, 2 AZR 656/08).
Interessenausgleich und Sozialplan
Gerade bei größeren Restrukturierungen, etwa in Konzernen oder bei Massenentlassungen, müssen Arbeitgeber mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich und Sozialplan verhandeln (§111 BetrVG). Ziel ist es, Härten abzufedern – etwa durch Abfindungen, Qualifizierungsmaßnahmen oder Versetzungen. Diese Verfahren haben oft einen hohen emotionalen und sozialen Druck – und verlangen klare Kommunikation auf Augenhöhe.
Beteiligung des Betriebsrats
Anhörungspflicht nach §102 BetrVG
Form und Fristen der Anhörung
Der Betriebsrat muss vor jeder Kündigung angehört werden – sonst ist sie unwirksam (§102 Abs. 1 BetrVG). Die Anhörung muss schriftlich erfolgen und alle relevanten Informationen enthalten: Kündigungsgrund, Sozialdaten, ggf. vorherige Abmahnungen. Für die Stellungnahme hat der Betriebsrat in der Regel drei Tage Zeit (bei außerordentlicher Kündigung: nur 24 Stunden). Wird diese Frist nicht eingehalten, gilt die Anhörung als erfolgt.
Folgen unterlassener Beteiligung
Und jetzt wird’s kritisch: Wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat gar nicht oder nur unzureichend informiert, ist die Kündigung automatisch unwirksam – ganz egal, wie gut der Grund war (BAG, Urteil vom 12.08.1999, 2 AZR 923/98). Das ist eine der häufigsten formalen Fehlerquellen im Kündigungsschutzprozess. Deshalb gilt: Ohne Anhörung, keine Kündigung!
Mitwirkung bei Massenentlassung
Anzeige nach §17 KSchG
Bei Massenentlassungen – also wenn eine größere Zahl von Mitarbeitern innerhalb von 30 Tagen entlassen werden soll – muss der Arbeitgeber die Bundesagentur für Arbeit vorher informieren (§17 KSchG). Diese Anzeige ist zwingend – ohne sie ist jede Kündigung unwirksam. Die genauen Schwellenwerte richten sich nach der Betriebsgröße: Ab 20 Arbeitnehmern beginnt die Anzeigepflicht.
Beteiligung und Fristlauf
Die Kündigungen dürfen erst ausgesprochen werden, wenn die Agentur für Arbeit zustimmt oder eine Sperrfrist von einem Monat abgelaufen ist (§18 KSchG). Zusätzlich muss der Betriebsrat rechtzeitig konsultiert werden. Der Arbeitgeber muss mit ihm über die Gründe, Zahl, Auswahlkriterien und soziale Folgen sprechen. Und das alles vor der eigentlichen Anzeige. Klingt kompliziert? Ist es auch. Aber genau deshalb ist die Dokumentation hier so entscheidend.
Europäische Richtlinie 98/59/EG
Diese Pflicht zur frühzeitigen Information und Konsultation ist kein rein deutsches Phänomen – sie basiert auf EU-Recht. Die Richtlinie 98/59/EG verlangt, dass Arbeitnehmervertretungen bei kollektiven Entlassungen rechtzeitig einbezogen werden. Der EuGH hat wiederholt betont, dass soziale Dialoge nicht nur eine Formalie sind, sondern ein zentrales Element des Arbeitsrechts darstellen (EuGH, Urteil vom 10.09.2009, C-44/08).
Krankheitsbedingte Kündigung Schwerbehinderter im öffentlichen Dienst 👆Besondere Kündigungsschutzregelungen
Schutz für besonders betroffene Gruppen
Schwangere und Mütter
Mutterschutzgesetz und Kündigung
Kaum etwas ist für werdende Mütter belastender als die Angst vor Arbeitsplatzverlust. Deshalb schützt das Mutterschutzgesetz (MuSchG) Arbeitnehmerinnen in besonderer Weise. Während der Schwangerschaft und bis zu vier Monate nach der Entbindung besteht ein absolutes Kündigungsverbot (§17 Abs. 1 MuSchG). Das heißt: Der Arbeitgeber darf selbst bei wirtschaftlichen Gründen keine Kündigung aussprechen. Diese Schutzzeit beginnt mit Bekanntgabe der Schwangerschaft – also nicht automatisch ab dem ersten Tag. Wenn die Arbeitnehmerin die Schwangerschaft nicht sofort meldet, verlängert sich der Schutz nicht rückwirkend. Das sorgt manchmal für Missverständnisse, gerade bei jüngeren Beschäftigten oder befristeten Verträgen.
Zustimmung durch Aufsichtsbehörde
Trotz des Kündigungsverbots kann in Ausnahmefällen doch gekündigt werden – aber nur mit vorheriger Zustimmung der zuständigen Landesbehörde (§17 Abs. 2 MuSchG). Diese Genehmigung wird äußerst restriktiv erteilt, etwa bei vollständiger Betriebsschließung oder gravierenden Pflichtverletzungen. Ein Arbeitgeber, der einfach kündigt und sich später um eine Genehmigung bemüht, hat keine Chance vor Gericht. Die Zustimmung muss vor der Kündigung vorliegen, sonst ist sie automatisch nichtig (BAG, Urteil vom 12.03.2015, 2 AZR 237/14).
Schwerbehinderte Beschäftigte
Verfahren beim Integrationsamt
Wer als schwerbehindert anerkannt ist – also einen Grad der Behinderung von mindestens 50 hat – genießt besonderen Kündigungsschutz. Doch der greift nicht automatisch. Bevor eine Kündigung wirksam ausgesprochen werden kann, muss das Integrationsamt zustimmen (§168 SGB IX). Das Amt prüft nicht nur die formale Lage, sondern auch soziale Gesichtspunkte und Möglichkeiten zur Weiterbeschäftigung. Dieser Schutz gilt übrigens auch für Gleichgestellte nach §2 Abs. 3 SGB IX, wenn eine Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen vorliegt.
SGB IX §168 und §178
Die rechtlichen Grundlagen für diesen Schutz finden sich im Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). In §168 ist geregelt, dass die Kündigung ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamtes unwirksam ist. §178 regelt die Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung im Betrieb – auch sie muss beteiligt werden. Wird sie übergangen, kann das Verfahren komplett scheitern (BAG, Urteil vom 13.12.2018, 2 AZR 378/18). Wichtig ist: Diese Vorschriften schützen nicht nur das Arbeitsverhältnis, sondern fördern auch die Inklusion am Arbeitsplatz.
Fristversäumnisse und Schutzlücken
Was passiert, wenn der Arbeitgeber die Zustimmung zwar beantragt, aber zu früh kündigt? Dann ist die Kündigung ebenfalls unwirksam. Oft scheitert eine Kündigung aber auch daran, dass die Fristen nicht beachtet wurden – etwa, weil das Integrationsamt sich Zeit lässt oder der Arbeitgeber unvollständige Unterlagen einreicht. Auch Arbeitnehmer selbst können ihren Schutz verlieren, wenn sie den GdB nicht rechtzeitig anerkennen lassen. Es ist also entscheidend, frühzeitig aktiv zu werden.
Betriebsratsmitglieder
Sonderkündigungsschutz nach §15 KSchG
Wer sich als Betriebsrat engagiert, steht oft im Kreuzfeuer. Genau deshalb schützt §15 KSchG diese Personen besonders – und das zu Recht. Während ihrer Amtszeit und bis zu einem Jahr danach ist eine ordentliche Kündigung grundsätzlich unzulässig. Nur in ganz bestimmten Fällen – etwa bei Betriebsstilllegung oder gravierenden Pflichtverletzungen – kann eine außerordentliche Kündigung erfolgen. Und selbst dann braucht der Arbeitgeber die Zustimmung des gesamten Betriebsrats und ggf. des Arbeitsgerichts.
Kündigung nur bei Betriebsstilllegung
Selbst bei einer Betriebsstilllegung greift der Schutz noch eine Weile. Die Kündigung ist nur dann zulässig, wenn der gesamte Betrieb geschlossen wird – nicht bei bloßer Abteilungsschließung. Das zeigt, wie stark das Gesetz die Interessen der betrieblichen Interessenvertretung schützt. Diese Regelung dient nicht dem Eigenschutz, sondern der Funktionsfähigkeit des Gremiums. Denn ein Betriebsrat, der jederzeit um seinen Job fürchten muss, kann seine Aufgabe nicht frei ausüben.
Kündigungsschutzklage
Frist und Form nach §4 KSchG
Klageerhebung innerhalb 3 Wochen
Wer gegen eine Kündigung vorgehen will, muss schnell handeln. Nach §4 Satz 1 KSchG gilt eine knallharte Drei-Wochen-Frist ab Zugang der Kündigung. Das klingt kurz – und ist es auch. Wer diese Frist verpasst, verliert seine Chance auf gerichtliche Prüfung. Selbst wenn die Kündigung rechtswidrig war, gilt sie dann als wirksam. Das macht es umso wichtiger, sich im Zweifel sofort anwaltlichen Rat zu holen.
Zugang der Kündigung und Fristbeginn
Und wann beginnt die Frist zu laufen? Nicht etwa mit dem Versand der Kündigung, sondern mit deren tatsächlichem Zugang – also dem Moment, in dem der Arbeitnehmer sie in den Händen hält oder sie in den Hausbriefkasten gelangt (§130 BGB). Ein klassischer Fehler ist die Annahme, dass das Datum auf dem Schreiben zählt. Wer im Urlaub ist oder die Kündigung nicht rechtzeitig öffnet, läuft Gefahr, wertvolle Tage zu verlieren.
Rechtsfolgen bei Fristversäumnis
Wird die Frist versäumt, ist das Arbeitsverhältnis unwiderruflich beendet – juristisch nennt man das „Fiktion der Wirksamkeit“. Nur in sehr seltenen Fällen lässt sich eine nachträgliche Klagezulassung erreichen (§5 KSchG), etwa bei schwerer Krankheit oder unverschuldeter Kenntnislosigkeit. Die Anforderungen sind hoch, und die Gerichte prüfen streng. Umso wichtiger ist es, die Frist gar nicht erst verstreichen zu lassen.
Ablauf des Gerichtsverfahrens
Gütetermin vor dem Arbeitsgericht
Der erste Schritt im Kündigungsschutzprozess ist der sogenannte Gütetermin. Dabei handelt es sich nicht um ein förmliches Verfahren, sondern um eine informelle Verhandlung vor dem Richter. Ziel ist es, eine einvernehmliche Lösung zu finden – etwa eine Rücknahme der Kündigung oder eine Abfindung. Dieser Termin findet in der Regel binnen zwei bis vier Wochen nach Klageeinreichung statt.
Beweislast und Argumentationslinien
Im gerichtlichen Verfahren trägt der Arbeitgeber die Beweislast für die Wirksamkeit der Kündigung – etwa für betriebliche Gründe oder Pflichtverletzungen. Der Arbeitnehmer wiederum muss nur die Kündigung und deren Zugang belegen. Spannend wird es, wenn Zeugen gehört oder betriebsinterne Unterlagen offengelegt werden müssen. Die Qualität der Argumentation entscheidet häufig über den Ausgang.
Einigung oder Urteil?
Viele Verfahren enden nicht mit einem Urteil, sondern mit einem Vergleich. Das liegt oft daran, dass beide Seiten das Risiko scheuen – oder schlicht keine Nerven für einen langen Rechtsstreit haben. Das Gericht schlägt dann häufig einen Mittelweg vor, etwa eine Abfindung in Höhe eines halben Bruttomonatsgehalts pro Beschäftigungsjahr. Diese Lösung ist nicht zwingend, aber oft die pragmatischere.
Aufhebungsvertrag vs. Kündigung
Vor- und Nachteile im Arbeitsrecht
Sperrzeit beim Arbeitslosengeld
Ein Aufhebungsvertrag kann elegant wirken – ist aber oft tückisch. Wer freiwillig unterzeichnet, riskiert eine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld (§159 SGB III). Denn die Bundesagentur für Arbeit geht dann davon aus, dass die Arbeitslosigkeit selbst verschuldet wurde. Eine Sperrzeit von bis zu zwölf Wochen kann die Folge sein – mit massiven finanziellen Einbußen. Ohne vorherige Rechtsberatung sollte man daher nie blind unterschreiben.
Schriftformerfordernis nach §623 BGB
Genau wie bei der Kündigung gilt auch für den Aufhebungsvertrag die Schriftformpflicht (§623 BGB). Eine mündliche Vereinbarung oder eine E-Mail genügt nicht – es braucht ein eigenhändig unterschriebenes Papier. Fehlt diese Form, ist der Vertrag unwirksam. Klingt technisch, ist aber entscheidend: Viele Arbeitnehmer verlieren ihren Schutz genau an diesem Punkt, weil sie glauben, ein formloses Einvernehmen reiche aus.
Widerrufsrechte und Beratungsanspruch
Und was, wenn man es sich anders überlegt? Leider gibt es beim Aufhebungsvertrag kein gesetzliches Widerrufsrecht – anders als bei Verbraucherverträgen. Allerdings kann man anfechten, etwa wegen Drohung oder Täuschung (§123 BGB). Auch die Rechtsprechung erkennt eine Pflicht zur fairen Aufklärung an (BAG, Urteil vom 07.02.2019, 6 AZR 75/18). Vor der Unterschrift lohnt sich daher eine Beratung – notfalls bei einer Beratungsstelle, Gewerkschaft oder dem Anwalt des Vertrauens.